Ich las… „Der Circle“ von Dave Eggers

ich-las-der-circleMal wieder ein Geschenke-Buch, das ich zu Weihnachten bekommen habe. „Der Circle“ von Dave Eggers ist ein Spiegel-Bestseller aus dem Kiwi-Verlag. Ich habe die 560 Seiten in etwa zwei Wochen gelesen. Das kriege ich normalerweise schneller hin, aber es kämpften in den Weihnachtsferien noch diverse andere Medien um meine Aufmerksamkeit. Womit wir auch schon beim Stichwort wären:

„Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim »Circle«, einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien (…). Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz – so ein Ziel der drei Weisen, die den Konzern leiten – wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt (…). Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterung und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles…“

Der Cliffhanger hört sich jetzt kurz nach romantischem Abenteuer á la 50 Shades an, ist es aber auf keinen Fall. Eggers bietet einen mMn leicht übertriebenen Blick darauf, was die sozialen Medien mit uns und unserer Aufmerksamkeit machen und in Zukunft machen könnten. Es geht darum, die schlimmstmögliche Entwicklung aufzuzeigen, und das gelingt ihm ausgesprochen gut.

Das fängt an bei der Protagonistin, Mae Holland, die sich von der sympathischen Neueinsteigerin, die nichts falsch machen will, zur manischen Social-Media-Verrückten entwickelt. Mit Hilfe ihrer Freundin Annie entflieht sie dem piefigen Kleinstadt-Job und -Leben, um  beim Circle zu arbeiten – offiziell dem Paradiesarbeitsgeber, der so allumfassend ausgestattet ist, dass man gleich auf dem Campus leben kann. Das erinnert natürlich an die Dinge, die man so über Facebook und Google aus dem Silicon Valley so hört – Unternehmen, bei denen die Mitarbeiter quasi eine Vollversorgung erleben. Oh, Google, Apple, Facebook und Twitter wurden übrigens vom Circle geschluckt, so unwahrscheinlich sich das auch anhören mag, wenn man bedenkt, dass die Großen heutzutage alle kleinen, noch so unwahrscheinlichen Start-Ups aufkaufen, um bloß keine Konkurrenz zu riskieren.

Im Folgenden erlebt der Leser, wie Mae durch permanente Indoktrination mit der Unternehmenskultur infiziert wird – Transparenz, Ratings und steter Verbesserungswillen. Aus Dankbarkeit und Pflichtbewusstsein lässt Mae alles über sich ergehen und nimmt alles an. Sie arbeitet in der „Customer Experience“ – zu Deutsch, der Kundenbetreuung und bekommt nach und nach immer mehr Bildschirme vorgesetzt, um die sich kümmern muss: die eigentlichen Kundenanfragen, Mitteilungen von Vorgesetzten, der Unternehmens-Social-Feed, ihr privater Feed (!), Anfragen von neuen Kollegen etc.. Für alles gibt es Ratings, Bewertungen und Vorgaben, für abgeschlossene Kundenanfragen, für ihre Beteiligung am Circle-Feed, an ihrem Privat-Feed, selbst ihre Gesundheit wird mit einem Armband getrackt und bewertet. Es ist eine permanente, schrittweise Eskalation, bei der ich mich ständig gefragt habe: wann reißt sie endlich alle Monitore vom Schreibtisch und rennt schreiend aus dem Gebäude? Was Mae, was anscheinend alle Mitarbeiter beim Circle 24/7 als „Job“ machen müssen, ist der blanke Social-Media-Wahnsinn, das ständige liken, smilen, frownen, kommentieren und empfehlen sinnloser Sachen in einem endlosen Circle-Jerk, der alle Beteiligten schon nach einem Monat in den Burn-Out treiben müsste.

Eggers übertreibt diesen Social-Media-Wahn und die Allmacht des Circles meiner Meinung nach, es wirkt unrealistisch. Ich glaube schon, dass es paradiesische Unternehmen vor allem im US-IT-Sektor gibt, mit denen man das große Los gezogen hätte. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dort so gestörte Personen arbeiten, wie sie Mae beim Circle teilweise umgeben (ich sage nur Alistairs Portugal-Brunch). Es ist wirklich erschreckend zu lesen, wie Mae zu einer dieser Personen wird, dass dieser Befreiungsschlag, den man sich für sie herbeisehnt, nicht kommt und sie eine von denen wird. Ich glaube, Eggers hatte so viel Freude daran, Mae immer tiefer in den Circle-Kaninchenbau kriechen zu lassen, dass er sich in einen Es-geht-noch-schlimmer-Rausch geschrieben hat. Am Ende war kein Platz mehr für irgendeine Wendung. Der mysteriöse Kollege mit seinen drei oder vier Auftritten hatte wirklich nur den einen Zweck: mysteriös zu wirken und die Hoffnung auf eine Rettung Maes lebendig zu halten. Der eine kleine Überraschungseffekt, den er bewirkt, verpufft wirkungslos, was mich als Leser reichlich ernüchtert zurücklässt mit dem Gedanken: Das war jetzt alles ziemlich betrüblich und erschreckend, aber sonst?

„Der Circle“ kommt mir wie eines dieser Untergangsverkünder-Bücher vor, in denen die zukünftige Entwicklung einer polarisierenden Sache möglichst schlimm und erschreckend dargestellt wird. Alle Internet- und Social-Media-Pessimisten greifen zu, lesen es mit einem wohligen Gefühl des „Immer-schon-gewusst-habens“ und fühlen sich bestätigt: „Ich hab’s ja schon immer gesagt, die jungen Leute mit ihrem Internet und Facebook machen die Welt noch kaputt, die sollten lieber wieder mehr miteinander reden anstatt 1984 zu verwirklichen!“ Diesen Pessimismus zu bedienen bringt natürlich leichtes Geld, und Eggers macht nicht einmal den Versuch, die Thematik differenziert anzugehen, sondern schildert den Circle und zum Schluss auch Mae als etwas Allmächtiges, dem alles gelingt und das seine Vorstellung von der Welt (und seine Produkte) den meist willenlosen Menschen aufpfropft, und wer nicht mitmachen will, der stirbt (literally!).

Das ist mir ehrlich gesagt zu einfach und – letztendlich – zu sinnlos. Will dieses Buch nichts anderes sein, als ein mahnendes Beispiel? Wozu lese ich mich durch hunderte Seiten Social-Media-Grauen, wenn es am Ende keine Erlösung oder Rettung gibt? Das ist deprimierend und zumindest für mich überhaupt nicht befriedigend.

Jetzt könnte ich mir fast selbst vorwerfen, mich ein wenig in einen Circle-Kritik-Rausch geschrieben zu haben. Aber so denke ich nun mal über die große Rahmenhandlung des Buches. Um zum Schluss auch noch etwas positives zu vermelden: im kleinen Rahmen findet Eggers die richtigen Worte. Maes Verwandlung, ihre Entfremdung von Eltern und alten Freunden ihre Gedanken sind sehr gut beschrieben, auch wenn man sich nicht wirklich in sie hineinversetzen kann. Wer das kann, sollte vielleicht einen Psychologen aufsuchen ;) Eggers stellt mit seinem Buch auch die Frage, wie sehr man sich durch großzügige Arbeitgeber, Extras, Zulagen oder Komfort kaufen lässt, um Dinge zu tun oder zu akzeptieren, die man eigentlich nicht will – und ob man den Absprung findet, wenn alles zu viel wird. Mae hat ihn jedenfalls nicht gefunden, und das fand ich mit jeder weiteren Seite bestürzender.

Berufskrankheit: die Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann ist tadellos. Viele typische Social-Media-Begriffe wie Feed, Rating oder Viewer bleiben auf Englisch, weil sie in dem Bereich auch so benutzt werden. Keine überflüssige Übersetzung.

Fazit: wer eine übertrieben bedrohliche Zukunftsvision des Internets und der sozialen Medien sucht und seine pessimistische Meinung dazu bestätigt lesen will, der ist hier gut bedient. Die Charaktere sind teilweise unrealistisch und daher oft auch amüsant, das Ende enttäuscht.

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